Kaweco | Feuilleton | Magazin Zürich

20. März 2017
Tagebuch-Schreiben

Schreiben Sie um Ihr Leben

Ich will glücklich sein. Deshalb sollte ich Tagebuch schreiben. Sie sollten das auch. Wir alle sollten das. Und ich verrate uns drei gute Gründe, warum:

1. Wer Tagebuch schreibt, platzt nicht.
Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde: Das Leben ist prall. Oft bin ich so voller Eindrücke, Informationen, fremder und eigener Erwartungen, die Agenda vollgepackt mit Terminen, dass ich Gefahr laufe, zu platzen – so wie dieser Kerl in Monty Pythons Film «The Meaning of Life»: der Restaurant-Gast, der sich derart rund gefressen hat, dass nichts mehr reinpasst. Und dann gönnt er sich eben doch noch dieses winzige Minzeblättchen, das ihm der Kellner zum Nachtisch serviert, und … explodiert! Ich bin überzeugt: Die ganz grosse Sauerei lässt sich vermeiden. Indem man sich täglich ein paar Minuten Zeit nimmt, um schriftlich über sich und das Leben nachzudenken, entschleunigt man den Irrsinn des Mithamsterns (dieses ewigliche Mehr-mehr-mehr!), verarbeitet und verdaut, entschlackt, entfettet und rettet so seine Gedanken.

2. Wer Tagebuch schreibt, begegnet und betrachtet sich – füdliblutt.
Eine weitere grosse Chance beim Tagebuch-Schreiben liegt, gerade in der heutigen Zeit, in seiner Privatheit. Wenn nämlich nur man selber zu lesen bekommt, was man schreibt, dürfen die Sätze und die Gedanken auch mal nicht so schön sein und nicht auf Resonanz und Applaus ausgerichtet. Kein Lob oder Like wird kommen. Nein, auch kein Smiley. Und kein Urteil droht, keine Kritik – jedenfalls nicht von aussen. So ermöglicht das Tagebuch-Schreiben eine Aufrichtigkeit mit sich selbst, also ein befreites «Hosen runter lassen»: Man schreibt sich die zwiebeligen Schichten vom Leib, mit denen man sich oft schützt und verkleidet, hinter denen man sich versteckt. Und drunter, da ist man füdliblutt und fragil. Gerade in dieser Nacktheit und Zerbrechlichkeit liegen Schönheit und Hässlichkeit, liegen Schwäche und Kraft.

3. Wer Tagebuch schreibt, kann sein Leben retten.
Drama, ja. Aber ich glaube es halt wirklich: dass das Tagebuch-Schreiben Leben retten kann – und zwar Leben bzw. Versionen unseres Lebens, die in uns angelegt sind und als Möglichkeit vorhanden, aber ohne die regelmässige Reflexion nicht entdeckt werden können. Anders formuliert: Dass unser Herz tapfer klopft und wir stets fleissig atmen ist noch lange kein Beweis dafür, dass wir unser Leben leben. Und, natürlich, man kann auch mit einem verlorenen Leben zweifelsohne weiterexistieren, so als ob es nie mehr gegeben hätte. Aber wie schön ist es, die Dinge und Gegebenheiten zu hinterfragen und stets neu zu betrachten, aus verschiedenen Perspektiven, sich Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten schriftlich vor Augen zu führen und Wünsche auszuformulieren.

Ja, wir sollten es wohl wirklich tun. Und zwar täglich.

Text: Andrea Keller | Fotografie: Kaweco

Dieser Text wurde zwar am Computer geschrieben, hat aber Hand und Hintergrund, basiert auf der Freude am handschriftlichen Schreiben. Er wurde im Auftrag von Kaweco verfasst, dem Hersteller von Schreibgeräten (seit 1883).

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